Ein Gastbeitrag von Dina Beneken

Eltern als Lehrer ihrer Kinder?

Diese Frage, ob Eltern als Lehrer ihrer Kinder fungieren sollen, wird immer wieder in verschiedenen Varianten heiß diskutiert. Hier möchte ich diese Frage genauer betrachten. Ich gehe auch auf die Schwierigkeiten, die für Eltern in der Lehrerrolle auftreten, ein und zeige mögliche Lösungen auf.

Dürfen Eltern Lehrer ihrer Kinder sein?

Immer wieder höre ich diese Diskussion: Eltern sollen keine Lehrer spielen, Eltern sollen einfach Eltern sein. Auf der anderen Seite steht beispielsweise im bayrischen Schulgesetz:

Zitat: „Die Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, auf die gewissenhafte Erfüllung der schulischen Pflichten einschließlich der Verpflichtung nach Art. 56 Abs. 4 Satz 4 und der von der Schule gestellten Anforderungen durch die Schülerinnen und Schüler zu achten und die Erziehungsarbeit der Schule zu unterstützen.“ (1)

Die Eltern sind also verantwortlich für die gewissenhafte (!) Erfüllung der schulischen Pflichten. Am ersten Elternabend eines meiner Kinder wurden die Eltern darauf sogar von der Lehrerin mittels aufgelegter Folie (des Gesetzestextes) hingewiesen. Bei den meisten Kindern, die ich so kenne, schließt das eine gewisse Aktivität des verantwortlichen Erwachsenen mit ein.

Lehrerin oder Mama? Mama oder Lehrerin?

Bis mein erstes Kind eingeschult wurde, war ich als Mutter selbstverständlich auch seine Lehrerin. Ich habe meinem Kind die Farben des Regenbogens, des Sonnenuntergangs und nicht immer zu meiner hellen Freude auch die des Sonnenaufgangs gezeigt. Wir haben geübt, welches Verhalten in unserer Gesellschaft erwartet wird, wie Fahrradfahren geht und dass man an roten Ampeln stehen bleiben soll.

Plötzlich reden alle mit

Dann kam die Vorschulzeit. Horror! Das erste Kind und das erste Mal Vorschule – mir schwirrte der Kopf. Die Eltern vertraten gegensätzliche Meinungen:„Das Kind muss Lesen können, wenn es in die Schule kommt.“ „Das Kind soll spielen, der Ernst des Lebens kommt noch früh genug.“ Pädagogen erwarteten, dass mein Kind „Schulfähigkeiten“ wie stillsitzen, sich melden und vor allem den Mund halten, wenn es nicht dran ist, lernen sollte. Das könnten wir ja bitte zuhause üben. Von allem anderen sollte ich die Finger lassen – sonst hätte die Schule ja nichts mehr zu tun. Mein Kind fragte nach Buchstaben. Das sollte ich so gut wie möglich abbügeln, das „kommt schon noch“.

Unterschiedliche Zuständigkeiten

Zusammengefasst drängte sich mir der Eindruck auf: Eltern sind dafür zuständig, dass das Kind die Schule besuchen kann, ohne andere Kinder und die Lehrer zu stören. Eltern sollen sich aber nicht in „didaktische“ Dinge einmischen und schon gar nicht Lesen oder Rechnen lehren, bevor das Kind die Schule besucht.

Und wenn es dann nicht so läuft wie gewünscht?

Eines Tages steht es dann an, das Elterngespräch. Es läuft nicht wie gewünscht. Das Kind soll „mehr üben“. Man solle mit dem Kind täglich ein bisschen rechnen, alternativ lesen oder schreiben. Natürlich nur spielerisch, nicht überfordern, aber darauf achten, dass das Kind den Anschluss nicht verliert.

Klar. Mehr üben. Aber was und wie genau?

Das ist der springende Punkt. Eltern wird gesagt, dass das Kind „nicht den erwarteten Leistungsstand hat“. Dann werden die Eltern nach Hause geschickt mit einer Art Mängelliste, auf der dann Dinge stehen wie „liest nicht flüssig“ oder „rechnet zu langsam“. Und nun? Beginnt der Teufelskreis.

Woher sollen Eltern denn wissen, wie und was sie mit dem Kind üben können, damit es das aufholt? Wer weiß denn schon als Elternteil, dass einfach 10 Minuten lesen täglich gar nichts bringt, wenn das Kind noch nicht alle Buchstaben richtig zuordnen kann? Dass es keinen Sinn macht, das 1×1 auswendig zu lernen, wenn das Kind das Prinzip des „Malnehmens“ nicht verstanden hat?

Natürlich sind Kinder und Eltern dann frustriert und kommen zu dem Ergebnis, dass Eltern keine Lehrer sein können – funktioniert ja nicht. Aber das System krankt ja schon wesentlich früher. Eltern sollen etwas ausbügeln, was eigentlich Aufgabe der Schule wäre.

Bild von Dina Beneken

Eltern als Lehrer?

Erziehungspartnerschaft wie ich sie mir wünschen würde

Ich würde mir wünschen, dass die Schule es als ihre Aufgabe ansieht, den Kindern die grundlegenden Fähigkeiten ordentlich beizubringen. Auch wenn diese Kinder langsamer, schneller oder anders lernen als es im Lehrbuch steht.

Solange wir nicht in so einem System leben (wie traurig!), wünsche ich mir wenigstens, dass Lehrer genaue Analysen machen, warum das Kind etwas noch nicht kann. Dann darauf aufbauend den Eltern detailliertes Material an die Hand geben. Sich die Zeit nehmen, ihnen zu zeigen, worauf es ankommt und wie sie ihren Kindern damit helfen können. Damit die Kinder nicht sinnlosen, nicht zielführenden Übungen ausgesetzt werden, die alle Beteiligten frustrieren. Denn Eltern sind keine gelernten Lehrer. Aber sie werden zu Hilfslehrern gemacht, ohne ihnen das Handwerkszeug in die Hand zu geben.

Was ist lehren?

Eine Geschichte dazu: Ein Kind, das im ersten Schuljahr kurzzeitbeschult war, wurde den Rest der Zeit zu Hause unterrichtet. Die Mutter legte einen Förderplan vor (den sonst keiner geschrieben hatte), einen Lernentwicklungsplan für das Kind und berichtete über die Fortschritte des Kindes. Daraufhin sagte ein Beteiligter: „Sie wissen aber schon, dass Sie nicht unterrichten DÜRFEN, alles was sie hier tun, fällt unter erweiterte Hausaufgabenbetreuung“.

Was soll diese Begriffsklauberei? Wo ist die Grenze zwischen Lehrer sein und Eltern sein?

Ich behaupte: es gibt keine. Eltern sind die Menschen, von denen ihre Kinder natürlicherweise lernen. Am Ende des Tages sind wir als Eltern dafür verantwortlich, mit welchen Vorrausetzungen wir unsere Kinder ins Leben entlassen. Und ob wir die Verantwortung dafür an andere abgeben – „die Schule“, Anbieter für Sport, Musik oder Sprachen – das ist zu einem gewissen Grad uns überlassen. Wir können manchmal entscheiden, welche Schule unser Kind besucht. Eltern sorgen selbstverständlich dafür, dass ihr Kind eine Bildung bekommt, mit der es im Leben dahinkommt, wo es hinwill.

Es geht um die Grundbildung

Nicht, dass mich jemand falsch versteht.  Wenn ich hier von Bildung spreche, geht es nicht darum, lauter kleine Curies, Einsteins oder Edisons (übrigens ein schönes Beispiel für erfolgreichen Hausunterricht) zu produzieren. Es geht um die Grundlagen: Lesen, Schreiben, Rechnen. Jedes Kind hat das Recht auf eine gute Basis für den Start in sein weiteres Leben. Es gibt Kinder, die benötigen mehr Zeit oder andere Herangehensweisen als die Schule ihnen bieten kann. Wer übernimmt das? Wer ist dafür verantwortlich, dass ein Kind die Chance bekommt, es zu lernen?

Können Eltern die Lehrer ihrer Kinder sein?

Generell haben wir das ja geklärt. Eltern sind immer Lehrer ihrer Kinder, ob sie wollen oder nicht. Wir leben unseren Kindern ein bestimmtes Verhalten vor, wir erklären ihnen bewusst Sachverhalte und sorgen für eine Herzensbildung.

Und die Rolle der Eltern beim häuslichen Lernen?

Was tun, wenn es bei den Hausaufgaben kracht? Das kommt fast überall vor. Hier ein paar Soforthilfetipps:

  • während der Lernzeit ist man als Elternteil ganz bewusst der Lernbegleiter und kommuniziert das auch seinem Kind.
  • Lernbegleiter sollten sich bewusst Zeit zum Lernen mit dem Kind nehmen. Wer selbst mit dem Kopf woanders ist, kann nicht geduldig reagieren.
  • dem Kind eine Alternative zum Lernen mit euch anbieten: Könnte es mit einem anderen Lernpartner (Großeltern, Nachbarn, Hausaufgabenbetreuung) besser lernen? Wäre Nachhilfe eine Option?

Wer sich frei entscheiden kann, kann eine bewusste Entscheidung treffen. Das gilt für beide Seiten 😉. Wer mit seinem Kind lernt, sollte das auch wollen. Wer es nicht will oder kann (dafür kann es viele Ursachen geben), darf und soll Alternativen für das Kind suchen.

  • Inhalte dort lassen, wo sie hingehören. Wenn mein Kind die Technik des Abziehens nicht verstanden hat, kann ich auch eine Notiz darüber an den zuständigen Lehrer schreiben, mit der Bitte, das noch einmal in der Schule zu bearbeiten.

Aus meiner Erfahrung hilft es schon sehr, wenn sich alle Beteiligten zusammensetzen und jeweils ihre Motivation klären, einen Rahmen definieren (Zeit, Ort, Dauer) und das schriftlich festhalten.

Die Situation ist verfahren?

Manchmal ist es so, dass eine Lernsituation zu Hause einfach verfahren ist. Dann hilft oft nur ein Wechsel des Lernbegleiters oder eine Pause, bis alle Beteiligten bereit für einen Neuanfang sind. Das ist normal und kommt immer wieder vor. Mein Tipp: Auch hier hilft klare Struktur, die Situation auszuhalten und eine ganz bewusste Pause einzulegen. Wichtig ist nur, auch hier den Zeitraum klar zu bestimmen, damit sich alle darauf einstellen können und danach wird neu „verhandelt“.

Quellenangaben:

1: Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen
(BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000
(GVBl. S. 414, 632) BayRS 2230-1-1-K  (https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayEUG)

 Über Dina Beneken:

Dina Beneken

Dr. Dina Beneken ist Lerntherapeutin und arbeitet mit Kindern im Vor- und Grundschulalter in ihrer Praxis in Brunnthal im Süden von München. https://lerntherapie-beneken.de/

Eltern, die effektiv mit ihren Kindern selber lernen wollen, bietet sie an, individuelle Lernpläne auf Basis einer Lernstandsanalyse anzufertigen. Bei Fragen steht sie über WhatsApp oder Email zur Verfügung.  

Im Herbst bietet sie einen kostenlosen Minikurs an zum Thema Hausaufgaben ohne Drama an. In dieser Woche lernen Eltern, wie sie ihre Kinder effektiv beim Lernen zuhause unterstützen können. https://lerntherapie-beneken.de/minikurs-hausaufgaben-ohne-drama